Der Knochenlepper - Knauche Martin

Martin Wilbert wohnte in der Valdergasse 4. Er war von Beruf Landarbeiter auf Burg Flamersheim und nebenbei bis 1938 Synagogendiener.

Bei Verrenkungen und Verstauchungen, Prellungen und Sportunfällen war er weit über die Orts- und Kreisgrenzen als Nothelfer bekannt. Soagar aus Belgien und Holland kamen lädierte Patienten. Die Behandlung erfolgte in der Wohnstube. Der Patient musste im mit Armstützen versehenen Holzsessel Platz nehmen. Seine markanten Behandlungsinstrumente waren ein großes rotes Taschentusch und Franzbranntwein mit einem Kräuterzusatz; die Mixtur kannte nur er. Assistentin war seine Tochter Lisa, diese und eine zweite Person mussten den Patienten festhalten.

Die Behandlung war kurz, aber nicht gerade schmerzlos - jedoch sie half und das meistens sehr schnell und ersparte manch einem längere Krankenhausaufenthalte.

Ich selbst habe ganze Sportvereine mit ihren Verletzungen zu ihm hingeführt und kann aus Überzeugung sagen, dass seine Behandlungen fast immer geholfen haben. Außerdem war er ehrenamtlicher aktiver Helfer im "Roten Kreuz".

Ob Mediziner oder andere Neider ihn zur Aufgabe seiner Behandlungen gezwungen haben, kann ich nicht sagen. Das Recht zur Behandlung wurde ihm im vorgerückten Alter entzogen, weil er keine Lizenz als "Heilpraktiker" besaß. Zur Ablegung einer Prüfung als Heilpraktiker war er bei seinem hohen Alter weder körperlich noch geistig in der Lage. 

Obgleich  er selbst nur das Notdürftige zum Leben besaß, waren seine Honorare mehr als bescheiden; es konnte sogar sein, dass er nur Spenden nahm.

Text aus "Allehand us Flomeschem", Heinz Lanzerath (Hg) 1996, Autor: Jakob Krämer, (Jg. 1925), Foto aus "Wir in Flamersheim", Dorfgemeinschaft Flamersheim (Hg), Verlag Kümpel, Euskirchen , 1984

Aus dem "Kölner Stadt-Anzeiger" vom 23.06.1956

Quelle: Stadtarchiv Euskirchen

Schüere Fränz

Franz Scheuren wohnte in der Mühlengasse Nr. 7 (heute Christian-Schäfer-Straße).

Er lebte von einer kleinen Landwirtschaft und gelegentlichen Fuhrleistungen. Seine Fuhrwerke waren ein Handwägelchen für "Cäsar", seinen Hund, eine Kutsche und ein Plateauwägelchen für "Silva", sein Pferd.

Ich habe ihn nur als alten Mann gekannt, der immer krummgebeugt ging, als habe er seine Unterhose - soweit er eine besaß - am Kragenknopf befestigt! Er soll neun Knochenbrüche gehabt haben, die nicht auf einen Nenner zu bringen waren. Da er nicht krankenversichert war, wurde freilich kein Arzt aufgesucht.

Zu seinem Haushalt gehörten neben den oben erwähnten Tieren noch seine Frau und ein paar Ziegen. Das Futter für die Ziegen holte er mit dem Handwägelchen, welches mit "Cäsar" bespannt war. Ganz gleich, ob der Wagen leer oder voll war, Fränz saß immer ganz selbstverständlich obendrauf.

Das störte einen feinen Herrn, der mit dem Auto des Weges kam und Fränz aufgrund seines Verhaltens der Tierquälerei bezichtigte. Fränz reagierte auf diesen Angriff mit "Götz von Berlichingen"!  Der feine Herr war der Regierungspräsident, der, als er das Angebot von Fränz beim Amt Kuchenheim vortrug, nur ein Lächeln erntete, weil Fränz dort für seine deftige Ausdrucksweise bekannt war.

 Wenn eine Ziege zum Bock musste, zog Fränz Frack und Zylinder an und setzte die Ziege in die Kutsche. Auf die Frage, was er denn vorhabe, antwortete er allen Ernstes: "Ich fahre Hochzeit machen!"

Karneval war für ihn ein hohes Fest. "Silva" wurde vor die Kutsche gespannt; in die Kutsche kam ein Ofen, es war ja um diese Jahreszeit kalt. Dann zog er durch das Dorf und besuchte Bekannte und Gesinnungsgenossen. Hatte er genug getrunken, bekam "Silva" auch ihr Bier ab!

 Als sein Nachbar, Gustav Oster, verstorben war und die damaligen Behörden die Benutzung des gemeindeeigenen Leichenwagens für die Beerdigung eines Juden verweigerten, spannte Fränz seine "Silva" vor den Plateauwagen und fuhr mit Gustavs Leiche gegen Kircheim, wo bekanntlich der Flamersheimer Judenfriedhof liegt. Doch "Silva" ging so schnell, dass die Fußgänger nicht folgen konnten. Als Fränz dies merkte und kurz vor Kirchheim zurückblickte, stellte er erstaunt fest, dass die Trauergemeinde gerade den Ortsausgang von Flamersheim passierte. Er hielt an und sprach dem Gustav ein "letztes Requiem".

Text aus "Allehand us Flomeschem", Heinz Lanzerath (Hg) 1996, Autor: Jakob Krämer,(Jg. 1925)

 

Die Gemeindediener

Als Gemeindediener sind nach Wilhelm Kuhl und  Edmund Kessel noch manchem Flamersheimer die Herren Josef Pfahl und Wilhelm Wißkirchen „(Muni Will“) in Erinnerung.

Neben den Botengängen für den Bürgermeister und die Amtsverwaltung waren sie Friedhofswärter und Totengräber; ihre Hauptaufgabe bestand  jedoch darin, amtliche Bekanntmachungen durch Einläuten mit einer Handglocke und lautes Ausrufen an markanten Punkten des Ortes kundzutun. Besonders interessant war die Ausübung dieses Amtes bei ganz besonderen Anlässen sonntags morgens nach dem Hochamt vor der Kirche.

Kurz nach Kriegsende hatte ein nicht gerader wortkarger Bürger (Josef Giesgen) einen Teil der Gemeinderatsmitglieder beleidigt, indem er behauptet hatte: „Die Hälfte des Gemeinderates ist verrückt!“ Er wurde amtlich aufgefordert, diese Beleidigung zurückzunehmen. Der Gemeindediener kündigte diesen Widerruf mit der Glocke nach dem Hochamt auf dem Marktplatz an, und der „Übeltäter“ widerrief seine Behauptung lauthals mit den Worten: „Die Hälfte des Gemeinderates ist nicht verrückt!“

Der Widerrufer war auch sonst nicht um Worte verlegen. So betrat er an einem Wahlsonntag das Wahllokal und versuchte die Wähler zu beeinflussen mit dem Zitat: „Wählt richtig, aber keinen Blödsinn!“ („Blödsinn“ war der Scherzname des damaligen Bürgermeisterkandidaten.)

Als man ihn, ein Flamersheimer Urgewächs, das in allen Sätteln gerecht war, (er war Landwirt, Fuhrunternehmer, Nachtwächter und Dauerskatspieler) aus seinem heimischen Anwesen vertrieben hatte, antwortete er an einem Wahlsonntag auf die Frage, was er dann wohl heute wählen würde: „Das fragt ihr noch? – Selbstverständlich wähle ich den ‚Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten’“.

 Er war für seinen Arbeitgeber unter falschem Namen im Internierungslager. Berühmt und berüchtigt waren seine Weintransporte aus der französischen in die britische Besatzungszone, indem er Mist zur Ahr fuhr und mit Stroh zurückkehrte.

Auch wurde er als erster amtlicher Müllabfuhrunternehmer in Flamersheim engagiert. Der Müll stand in offenen Gefäßen am Straßenrand. Die Abfuhr erfolgte im offenen Wagen. Aus gegebenem Anlass kam aus seinem Mund der Satz: „An ihren Mülltonnen werdet Ihr sie erkennen!“

Er, der vielen Leuten in schlechter Zeit auf vielfache Weise geholfen hat, ist heute fast vergessen, obgleich er noch gar nicht allzu lange tot ist.

Arm, wie er geboren wurde, starb er – sein Reihengrab ziert heute keine Blume mehr.

Text aus "Allehand us Flomeschem", Heinz Lanzerath (Hg) 1996, Autor: Jakob Krämer,(Jg. 1925)